Meine Jugend verbrachte ich auf der Galopprennbahn – es war eine tolle Zeit!

Aufruf von Judith Peters, bei einer (von 105) Blogparaden mitzumachen. Und heute, am letzten Tag, schreibe ich meinen Artikel für die Parade von Marianne Kewitsch „Wie Tiere mein Leben beeinflusst haben.“

Mit 13 Jahren liebte ich Pferde, bekam von meinen Eltern 2 Reitstunden im Monat spendiert (ok, eine, für die zweite ging mein Taschengeld drauf) und wußte, daß ich nie ein eigenes Pferd haben würde. In meinen Jugendbüchern fanden die Mädchen (es ging fast nur um Mädchen) immer entweder eine gratis Reitmöglichkeit bei einer neuen Freundin mit Pferdehof, oder sie kriegten doch ein eigenes Pferd. Blödsinn. Reine Autorenphantasien.

An einem Nachmittag fuhr ich mit dem Fahrrad mal wieder Richtung Katzenheim Freudenau. Dabei kam ich an einer Art Zigeunersiedlung vorbei. Also alte, eher brüchige rote Gemäuer, Wäscheleinen – und eine Koppel, auf der sich ein zartes braunes großes Pony befand. Daneben ein älterer Mann in Arbeitskluft, der mir irgendwas von Rennpferden und Rennen erzählte. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich geschnallt hatte, daß er nicht fantasierte, sondern daß ich bei den Stallungen der Wiener Galopprennbahn gelandet war. Und das zarte, nicht sonderlich große Pferd war ein Englisches Vollblut und Rennpferd. Ich lernte noch andere Vollblüter und Angestellte auf der Rennbahn kennen, nahm eine Freundin mit, und ein Pferdepfleger ging mit uns beiden von Stall zu Stall um herauszufinden, wo wir reiten durften. Wir landeten bei einem alten cholerischen Trainer, der uns aufforderte, am nächsten Tag um halb sechs am Stall zu sein. Halb sechs früh….

Und so wurden wir am nächsten Tag im Morgengrauen erstmals auf einen Galopper gesetzt. Reithose hatten wir beide nicht, also in Jeans und Turnschuhen (war eher üblich als Gummistiefel) und mit Reitkappe – dem einzigen Kleidungsstück, das Pflicht war. Die schwarze Kappe mussten wir bald gegen einen Reithelm mit Kinnschutz tauschen, der vorgeschrieben wurde. Wir durften im Lot, also in der Stallgruppe in der Mitte mitreiten. Die kurzen Bügel waren gewöhnungsbedürftig, obwohl unsere Knie immer noch unter dem Widerrist waren. Wir durften die ersten Wochen (ok, Monate) nur im Hof, einer Ovalbahn innerhalb der Stallgebäude, im Schritt und Trab reiten. Auf die Rennbahn raus für die Arbeit im Galopp bzw. im Canter durften wir noch länger nicht. Wir waren fast jeden Tag vor der Schule auf der Rennbahn und in den Ferien den ganzen Vormittag. Auch nachmittags waren wir oft am Stall und halfen, indem wir mit den Pferden spazieren gingen oder sie putzten. Bald wurden wir auch gefragt, ob wir Pferde zum Rennen und anschließend trocken führen wollten. Dafür gab es auch Geld. 100 Schilling pro Pferd, und meistens waren es 2 Pferde pro Renntag, die ich zugeteilt bekam.

Ich durfte jetzt nicht nur gratis reiten, sondern ich hatte auch einen Wochenendjob, der mir für damalige Verhältnisse gut Geld einbrachte.

Irgendwann war es so weit, daß wir auch mit auf die Rennbahn durften. Obwohl wir normalerweise >nur< eine ruhige Runde (1800 m) im Canter ritten – zumindest wenn wir die Pferde halten, also davon abhalten konnten, mit uns volle Pulle loszurennen, war es ein tolles Gefühl.

Im Lauf der Zeit hatte ich meine Lieblingspferde (fast immer Stuten, oft Fuchs) und Pferde, die ich weniger mochte. Ich lernte, mich auch auf scheuenden, Schleifen ziehenden (sowas wie ein Rollback, vom Pferd eingeleitet), Haken schlagenden, buckelnden, durchgehenden Pferden zu halten. Zumindest meistens. Es gab auch immer wieder mal unfreiwillige Abgänge, bei denen ich mit blauen Flecken davonkam. Ich lernte, auch beißende und tretende Pferde zu putzen und Jungpferden beizubringen, ihre Hufe zu geben.

Und ich lernte, daß man auf Hengsten nicht hinter Stuten reitet. Ich saß auf Antonio, ehemaliges Pferd des Jahres. Der Rest meiner Lot, also Gruppe vom Stall, ging raus auf die Rennbahn. Ich durfte damals noch nicht mit und sollte einfach im Hof weiter traben. Also trabten wir und näherten uns von hinten flott einer anderen Gruppe an. Gut, reihe ich mich hinter denen ein. Antonio gab auf einmal so komische Geräusche von sich. Was hatte er nur? Der Reiter vor mir drehte sich um und brüllte mich an, ich soll doch bitte mit meinem Hengst hinter der Stute weggehen. Ich habe sehr rasch gehorcht. Klar wußte ich, daß ein Pferd namens Antonio männlich war. Daß er Hengst war, hatte mir niemand gesagt, vermutlich weil die meisten männlichen Pferde auf der Rennbahn Hengste waren. Und auch wenn sie es mir gesagt hätten: Mir war nicht bewußt, daß Sultan und Rih, die ich in der Reitschule geritten habe, keine Hengste mehr waren und daß es da doch ein paar Unterschiede zu beachten gab.

In den nächsten vier Jahren gab es außer Rennbahn nicht viel in meinem Leben. Es war eine tolle Zeit! Ich fühlte mich wie eine Profireiterin, und ich war seither auch nie wieder so sportlich und durchtrainiert. Ich wußte gefühlt alles über Pferde. (Das traf auf meine Schulfächer leider nicht zu, und die Noten sackten ordentlich in den Keller). 

Dann kam langsam das Erwachen und Erwachsenwerden. Und Nu. Mit vollem Namen Nuance. Ich kam gerade aus dem Urlaub (5 Tage Steiermark mit meinen Eltern inkl. 2 Ausritten, wenn ich mich recht erinnere. Der Ausrittführer witzelte, daß ich nächstes Mal wohl mit meinem eigenen Vollblüter kommen würde). Meine Freundin rief mich an: „Auf der Rennbahn ist ein Pferd zu verschenken, eine Zweijährige, die beißt und schlägt. Die wäre doch was für dich.“ Ich erklärte ihr, daß ich mir kein Pferd leisten kann und will. Dann sprach ich mit meiner Mutter. „Nur ansehen.“ Der Trainer erklärte uns, das Pferd sei zwar nicht zu verschenken, aber umsonst zu pachten sei. Wir haben sie uns angesehen. Eine kleine, dunkle Stute mit zurückgelegten Ohren, die ich nicht mal an der Schulter angreifen konnte, weil sie sich dabei fast auf den Boden schmiß. Angeritten war sie auch noch nicht, was für die Rennbahn untypisch war. „Ich habe 8.000 Schilling. Ich will nicht pachten, sondern kaufen.“ (meine gesparten Führgelder). Einige Zeit später gab der Züchter sein OK, und das Unglück nahm seinen Lauf. Nein, es ist keine gute Idee, sein gesamtes Geld für den Kauf eines Pferdes auszugeben, speziell wenn man die Einstellgebühr mit Nachmittagsjobs (im Büro meines Vaters) nach der Schule aufbringen muß. Nein, es ich auch keine gute Idee, sich mit 18 Jahren ein Pferd zu kaufen, das bei Profis als sehr schwierig galt und biß und gezielt trat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Was ich heute immer noch gut an dieser Zeit finde:

Ich habe Routine gekriegt und gelernt, mich von Drohgebärden, Schnappen, in meine Richtung treten nicht beeindrucken zu lassen. OK, mittlerweile bin ich deutlich vorsichtiger und feiger. Aber prinzipiell betrachte ich es als normal, daß Pferde auch mal beißen oder treten oder sonstwie unerwünschtes Verhalten zeigen.

Ich habe erstmals erlebt, daß auch total unwahrscheinliche Glücksfälle (aus meiner Sicht) eintreten können.

Ich habe tolle Pferdepersönlichkeiten kennengelernt, an die ich immer noch gerne zurückdenke.

Ich hatte viel Freiheit und Selbstbestimmung.

Was ich heute nicht mehr will:

Die Haltungsbedingungen. Die Galopper lebten ca. 23 Stunden/Tag in der Box. Sie kamen zum Reiten raus, und die bevorzugten (wozu auch mein jeweiliges Lieblingspferd gehörte 😊) wurden am Nachmittag noch eine halbe Stunde spazieren geführt oder durften grasen. Koppelgang war die absolute Ausnahme. Dabei waren die Haltungsbedingungen immer noch besser als in den umliegenden Reitställen, wobei dort auch noch Ständerhaltung üblich war und ebenfalls kein Freigang.

Das frühe Anreiten. Mit 1 ½ Jahren begann das Leben als Rennpferd, und die Tiere lernten Reiter auf ihrem Rücken kennen. Auch wenn die Reiter leicht und die Einheiten kurz waren: Das könnte ich mir heute nicht mehr für mich vorstellen, obwohl mittlerweile auch viele Reitpferde deutlich vor dem Alter von 3 Jahren, wie es früher üblich war, angeritten werden.

So schnell habe ich, glaube ich, noch keinen Artikel getippt. Fehler dürft ihr behalten. Kommentare und Anmerkungen bitte gerne per mail.

PS Nu hat fast 25 Jahre mit mir verbracht, bevor ich sie mit knapp 27 Jahren einschläfern lassen mußte.

PPS es hat zwar nichts direkt mit der Rennbahn zu tun, aber ob ich sonst jemals zu Pferdehaltung in Eigenregie und zum Clickertraining gekommen wäre?

 

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